Ich verstelle mich nicht

Ein Stündchen mit Feridun Zaimoglu

 

    „Darf ich Sie belästigen?“, spreche ich den jugendlich wirkenden, südländisch aussehenden Herrn im schwarzen T-Shirt an, der mir wie ein Markenzeichen der Bäckerei Feddersen erscheint. Er sitzt auf dem einfachen Terrassenstuhl in der Sonne, auf dem Tischchen ein Becher Kaffee und eine Packung Marlboro Lights. Bereits viele Male habe ich ihn während der Vormittagsstunden dort sitzen sehen. Die Szene an der Kieler Kreuzung Lutherstraße/Kirchhofallee entspricht den Beschreibungen, die mir aus seinen literarischen und anderen Texten vertraut ist.

    „Ja, dürfen Sie!“, antwortet Kiels berühmtester lebender Autor. Bevor ich mich ganz vorstellen kann, erhebt er sich höflich von seinem Kaffeebecher und blickt außerordentlich freundlich. Nach ein paar Worten sind wir für die nächste Woche verabredet, am selben Ort. Ich gebe ihm für alle Fälle meine Telefonnummer. Er diktiert mir darauf seine Handy-Nummer.

    Acht Tage später, wenige Stunden vor unserem Treffen, muss ich seinen eingehenden Anruf wegdrücken. Mein Rückruf bewirkt eine dreifache Entschuldigung: er wollte mich nicht spät abends am Vortage noch behelligen, er fürchtete, gerade meinen Unterricht und meine Schüler durch sein vormittägliches Klingeln gestört zu haben, er bedauert und bittet um Verständnis, dass ein kurzfristig anberaumter Vorbereitungstermin für einen Fernsehauftritt unserer Zusammenkunft im Wege stehe. Wir verabreden uns erneut.

    Einen Tag später treffe ich Feridun Zaimoglu mit einem großen Briefumschlag in der Hand an der Ladentür der Bäckerei Feddersen. Er beginnt wieder mit einer Entschuldigung, denn er hat sich bereits seinen Kaffee geholt. Meine Einladung zur Käsetorte lehnt er dankend ab. Als ich mit meinem Becher Kaffee neben ihm vor dem Schaufenster der Bäckerei Platz nehme, hat er schon die fotokopierten Rezensionen seines neuen Romans „Ruß“ überflogen, die ihm von seinem Verlag zugeschickt wurden. Er freut sich über die Lobeshymne der FAZ und ärgert sich über den „Verriss von der Ruhr“, wie er meint – aber er sagt und zeigt es eigentlich nicht.

 

    Kein Vorgeplänkel! „Lassen Sie uns gleich beginnen“, mahnt der Autor, es gebe für ihn jetzt viel zu tun, die Öffentlichkeitsarbeit für seinen gerade erschienenen Roman, die Arbeit an dem momentan entstehenden nächsten Roman und die Gedanken an den übernächsten ..., außerdem zeichne er jeden Tag.

    Ich gestehe meine Schwierigkeiten, ihm die rechten Fragen zu stellen. Eigentlich liefern die Medien eine große Informationsfülle über sein Leben als Schriftsteller, auch über das in Kiel. So ist bekannt, dass es ihn durch die ZVS (Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen) 1984 zum Studieren nach Kiel verschlagen hat, dass er das Medizin- und ein Kunststudium schmiss und seitdem mit einer Schreibmaschine in seiner Küche täglich wenigstens 4 1/2 Seiten zu Papier bringt, dass er ...

    „Es geht erst los. Ich stehe erst am Anfang“, behauptet Zaimoglu voller Tatendrang, als gäbe es nicht schon ein Werk, auf das er zurückblicken könnte, ein Werk, das mehrere Gattungen (Roman, Essay, Drama, Übersetzung ...) umfasst, sich durch verschiedene Entwicklungsphasen auszeichnet und vielfach Anerkennung gefunden hat. Für seine beiden ersten, Aufsehen erregenden Bücher „Kanak Sprak“ und“ Abschaum“, die unterprivilegierten türkischen Migranten der zweiten und dritten Generation aus Kiel eine Sprache geben und Gehör verleihen, musste er sich von der damals amtierenden schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis – unter Publikumsbeifall – eine „Schnapsnase“ nennen lassen. Der stets wohl situierte Zaimoglu versichert, dass die Politikerin ihn auch noch als „Arschloch“ betitelt habe. Pikanter Weise war der Anlass für die Entgleisung der Ministerpräsidentin ihre Absicht, der harten Sprache der Protagonisten Zaimogluscher Texte Einhalt gebieten zu müssen. 

 

    Zaimoglu jammert nicht über Schmähungen, die ihm widerfahren sind, gibt aber ungefragt darüber Auskunft, warum er von vielen wegen „der Temperatur und dem Temperament“, die ihm eignen, als „bad guy“ angesehen wurde. Er fühle sich zu 100% deutsch, das nehme man ihm als „Überassimilation“ übel. Auf die Problematik angesprochen, sich gleichwohl in verschiedenen Rollen zurecht finden zu müssen, meint der Autor kategorisch: „Ich hatte nie eine Identitätskrise. Ich wusste immer, ich bin deutsch.“ Anstoß errege neben seinen Ansichten auch sein Aussehen („meine Glubschaugen“) und seine angeblichen „Inszenierungen“. „Ich verstelle mich nicht. Ich kann mich nicht verstellen. Ich habe nichts zu verbergen.“ Gleichwohl liebt der Künstler das Spiel mit Inszenierungen und Identitäten. Denn er habe „keine Lust auf Bürgerliches“. So ist Zaimoglu nicht nur als Bühnenautor ein Theatermensch: Gestus und Habitus, Kostüm und Maske ... vom Gangster-Outfit bis zum Auftritt als everybody‘s darling wechselte er über die Jahre lustvoll das Rollenfach. „Ich will spielen,“ sagt er und nennt es „Selbstverschwendung“. Das meint vor allem „Schreiben bis zum Umfallen“. Zaimoglu wählt – wie immer – seine Worte mit Bedacht und ergänzt, Schreiben sei für ihn kein Akt der Selbstverwirklichung, vielmehr Sucht.

    Das daraus entstandene Werk ist mit einer Fülle von Preisen belohnt worden. Die schleswig-holsteinische Landesregierung – nun nicht mehr vertreten durch Heide Simonis – hat als Mitstifterin Zaimoglu Satisfaktion erteilt und sich selbst dadurch rehabilitiert.

 

    Mittlerweile kann der Kieler Autor mit einem Dutzend Theaterstücken (in Zusammenarbeit mit Günter Senkel) und um die zwanzig Buchveröffentlichungen aufwarten. Mit „Liebesbrand“, „Hinterland“ und „Ruß“ hat Zaimoglu gerade eine „Deutsche Trilogie“ abgeschlossen. Äußerlich sichtbar werde das schon an den von Schwarz über Rot zu Gold wechselnden Buchumschlägen, raunt der Autor. Hatte sich das geografische Territorium der frühen Texte noch auf Gaarden oder das Kieler Rotlichtmilieu konzentriert, weitet es sich mit seinen jüngsten Romanen in den europäischen und kleinasiatischen Raum. Zugleich entdeckt Zaimoglu in der deutschen Heimat die Romantik. Bemerkenswert dabei ist nicht nur die Wandlung von einem Dichter der Migrationsfolgen zu einem Erzähler von Liebesgeschichten. Für einen Autor, der seine Karriere ursächlich und thematisch dem Clash of Civilizations verdankt, ist das jüngste Buch auffällig türkenfrei. 

 

    Unser Gespräch bzw. die Auskunftsfreude des Poeten wird skandiert vom Anzünden neuer Marlboros sowie vom freundlichen Grüßen und Gegrüßtwerden im 5-Minuten-Takt. „Ein Kumpel“, kommentiert Zaimoglu den einen und anderen Passanten, „aus der Feddersenrunde.“ Als jemand an unseren Tisch kommt und sich wortlos Zaimoglus Feuerzeugs bedient und dankend nickt, heißt es: „Ein guter Kumpel.“

 

    Äußerlich scheint das Leben des Kieler Autors anspruchslos. Das schwarze T-Shirt von unserer ersten Begegnung hat er heute durch eine schwarze Steppjacke ersetzt. Die wenig anmutige Straßenkreuzung, an der wir sitzen, topografisch gleich weit entfernt von Gaarden und Düsternbrook, ist offensichtlich einer seiner Lieblingsplätze. In unmittelbarer Nähe befindet sich die 80 qm große Junggesellenwohnung, in der er seit 27 Jahren lebt, „für 340 € Miete“. Am Stadtteil Südfriedhof schätzt er, dass das Milieu für ihn keine Eindeutigkeit biete. Hier wolle er alt werden. Essen interessiere ihn nicht. Sein Nahrungsbedarf an Lektüre charakterisiert er so: „Ich lese nur Gedichte und Schund.“ Eine Aussage, die wohl weniger etwas von der Belesenheit des Autors verrät als vielmehr über dessen Urteil.

    Von Schriftstellerkollegen und Kritikern hält er sich – wenn möglich – fern. Bei einem Namen jedoch wird der trotz Mittagszeit hellwache Autor lebendig und  gerät ins Schwärmen: „Große deutsche Literatur, ein Großer als Dichter und Maler, zu fein ...“, Zaimoglu korrigiert sich: „... sehr fein! Es geht um die Feinheit! Er hat mir den Flegel ausgetrieben, er hat mich zum Menschen gemacht, er ist mein Meister, Gott segne ihn!“ Und er wiederholt mehrmals: „Ich bin Sand unter seinen Füßen.“ Gemeint ist der Lyriker, Erzähler, Maler und Bildhauer Gerrit Bekker, der ebenfalls viele Jahre in Kiel gelebt und gearbeitet hat.

    „Zum Menschen gemacht“ bedeutet für Zaimoglu, Humanist zu sein. Das heißt ganz schlicht: „Gut ist es, Menschen nichts anzutun. Es tötet die Kinderseele.“ „Lumpen, die andere niedermachen“, verabscheut er und nennt Namen. Hier trifft sich der Einfluss der Vaterfigur Bekker mit dem des eigenen Vaters, der ihn Mores lehrte: „Man spukt nicht in den Napf, aus dem man isst.“ 

    Als Moralist ist Zaimoglu ein Dichter alter Schule. Dazu gehört auch ein persönliches Arbeitsethos, das er dem Arbeitermilieu entnimmt, in dem er aufgewachsen ist, und das er nicht ohne Stolz preußisch nennt. 

    Nun wird es Zeit für Zaimoglu, er hat schließlich viel zu tun. Ich danke ihm herzlich für die Begegnung und lasse ihn zurück an seine Arbeit, das Schreiben.

 

Das Gespräch mit Feridun Zaimoglu führte

Walter Arnold am 1. September 2011